Die "Ernte" von grünen Kirschen

25.05.2019

Mainpost 25.05.2019

Lindach

Die "Ernte" von grünen Kirschen

„Kirschengrünernte" - ein ungewöhnlicher Begriff, den viele wohl noch nie in ihrem Leben gehört haben dürften. So erging es auch dem gebürtigen Lindelacher und heute in Rügshofen wohnenden Waldemar Wiederer, als er bei der Wallfahrt der Lindelacher zum Volkacher Kirchberg wieder mal seinen alten Schulkameraden, den Lindacher Obstbauern Reinhold Dotzel, traf. Beim Plaudern kamen die beiden auch auf das erfolgreiche Volksbegehren "Rettet die Bienen" zu sprechen, das ja - so die Meinung von Waldemar Wiederer - besonders für die Obstbauern von geradezu existenzieller Bedeutung gewesen sei. Denn ohne Bienen würde es bald kaum noch Obst und dann auch keine Obstbauern mehr geben. Oder?

Reinhold Dotzel belehrte seinen Schulfreund gleich in zweierlei Hinsicht eines Besseren. "Die Befruchtung der Obstbäume geschieht nur zu einem geringen Bruchteil durch Bienen." Und außerdem wurden in diesem Frühjahr so viele Blüten bestäubt, dass der Obstbauer sich gezwungen sieht, schon jetzt unreife Kirschen vom Baum zu nehmen. "Kirschengrünernte" nennt man das.

Das Image der Honigbiene

Die Initiatoren des erfolgreichen bayerischen Volksbegehrens "Rettet die Bienen" hatten eine Honigbiene zu ihrem Wappentier gemacht. Und dies wohl ausschließlich aus Gründen des besseren Marketings. Die Honigbiene hat schließlich in der öffentlichen Wahrnehmung ein gutes Image. Doch eben jene Honigbiene, ein von den Imkern betreutes und gezüchtetes Nutztier, ist keineswegs in ihrem Bestand gefährdet. Dramatisch ist der Artenrückgang vielmehr bei den wildlebenden Insekten, unter anderem bei den zahlreichen Wildbienen-Arten. Doch ein Slogan wie "Rettet die  Kerbtiere" hätte vermutlich nicht so viele Menschen angesprochen - und eine Schmeißfliege als Wappentier wäre zwar sachlich richtig gewesen, hätte aber deutlich geringere Sympathiewerte erzielt als die bummelige Honigbiene. 

Die Imagekampagne des Volksbegehrens hat in der Bevölkerung die Meinung verfestigt, dass die Biene beim Befruchten der Pflanzen gerade für die Landwirtschaft - und im speziellen die Obstbauern - von existenzieller Bedeutung ist. Davon  hört auch Reinhold Dotzel ständig. Im Gespräch mit dieser Redaktion macht er aber klar, dass es im wesentlichen keine Honigbienen sind, die die Obstbäume bestäuben, sondern eine Vielzahl anderer Insektenarten. Und dies auch bei ungünstiger Witterung. Denn diese Insekten seien auch noch bei niedrigen Außentemperaturen knapp über Null unterwegs, wenn die Bienen wegen der Kühle schon ihren Stock nicht mehr verlassen. "Der Vorteil der Bienen ist halt nur, dass sie auch noch Honig einbringen."

Ganze Arbeit der Insekten

Von einem Rückgang der Insekten und drohender Probleme beim Bestäuben der Obstbäume hat Dotzel noch nichts bemerkt. Ganz im Gegenteil. Die Insekten hätten in diesem Frühjahr ganze Arbeit geleistet, sagt er. Die Kirschbäume hängen über und über voll mit Früchten, berichtet der Obstbauer, der im milden Maintal bei Lindach fünf verschiedene Sorten züchtet. Die Bäume haben so viele Früchte angesetzt, dass der Landwirt schon jetzt eingreifen muss. Es besteht nämlich die Gefahr, dass es der Kirschbaum - sollten alle Früchte an den Zweigen bleiben - nicht schafft, die Kirschen in einer für den Landwirt vermarktbaren Qualität heranreifen zu lassen. Und zur Qualität zählen Größe, Farbe und Süße der Kirschen. "Deshalb werden die Bäume jetzt per Hand ausgepflückt."

Bei dieser Kirschengrünernte wird bis zur Hälfte der unreifen Früchte vom Baum geholt. Das ist ein Erfahrungswert, den sich der Obstbauer in Jahrzehnte langer Berufserfahrung angeeignet hat. Wenn Reinhold Dotzel mit einem Baum fertig ist, ist der Erdboden fast bedeckt mit kleinen grünen Kirschen. Doch dann ist auch sichergestellt, selbst wenn jetzt noch trockene Wochen und Monate kommen sollten, dass es der Baum schafft, seine verbliebenen Kirschen bis zur Qualitätsgröße wachsen zu lassen. Dieses Abnehmen von unreifen Früchten wird übrigens auch von Winzern in den Weinbergen praktiziert, damit der Rebstock seine ganze Kraft in die verbliebenen Trauben stecken kann. Eine Ertragsregulierung zur Qualitätssteigerung, oder einfach ausgedrückt: Klasse statt Masse. "Wenn ich damit 80 Liter Wein produziere, schmeckt der deutlich besser, als die 150 Liter, die auch möglich gewesen wären",  sagt Reinhold Dotzel, der auch selbst einen Weinberg hat.

Aufklärung für die Städter

Übrigens: Am Rande der Lindacher Wallfahrt zur Volkacher "Maria im Weingarten" zeigte Reinhold Dotzel seinem Schulfreunde Waldemar Wiederer an einem vollhängenden Kirschbaum am Wegesrand gleich mal, wie so eine Kirschengrünernte funktioniert - und dass es sich nicht, wie von Wiederer zunächst vermutet, um einen verspäteten Aprilscherz handelt. Dotzel entfernte trotz seines Sonntags-Sakkos gleich mal mehrere Handvoll Früchte. Zufälligerweise kam gerade in diesem Moment eine Touristengruppe aus Nürnberg des Weges. "Die haben sich sofort empört, was wir da an dem Kirschbaum machen", erinnert sich Waldemar Wiederer. "Aber als der Reinhold dann die Zuschauer aufgeklärt hat, waren auch sie - und nicht nur ich - sprachlos."

 

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