Verrückte Geschichte: Seltenes Tafelklavier landet in Salzburg

05.01.2022

Mainpost 05.01.2022

Zeilitzheim

Verrückte Geschichte: Seltenes Tafelklavier landet in Salzburg

Klavierlehrer Konrad Lutz hat das Instrument einer Schülerin restauriert und jahrelang gespielt. Jetzt hat er es der Stiftung Mozarteum geschenkt – unter einer Bedingung.

 

Wie viele Finger mögen auf dem alten Klaviers bereits gespielt haben? Oder die schwarzen und weißen Tasten zaghaft berührt, vielleicht aber auch virtuos auf ihnen gespielt haben? Kein Mensch weiß das. Fest steht nur: Es dürften noch viele mehr werden. Denn obwohl das Instrument längst das Alter eines gut gereiften Museumsstücks erreicht hat, ist es voll funktionstüchtig. Deshalb steht ihm jetzt ein weiterer, glamouröser Lebensabschnitt bevor, in einem Konzertsaal des renommierten Mozarteums in Salzburg. Und etwas Herzschmerz hat die Geschichte auch noch zu bieten.

Doch der Reihe nach – und zuerst einmal knapp 40 Jahre zurück. Damals unterrichtete Klavierlehrer Konrad Lutz in der Musikschule in Gerolzhofen Karin Förster. Die Neunjährige hieß damals mit Familienname noch White und lebte mit ihren Eltern in der Schuhstraße. Und jedes Mal, wenn das Mädchen an einem Klavier der Musikschule übte, wunderte es sich: Das Klavier hier sieht ganz anders aus als das, auf dem sie zuhause spielt. Das Klavier daheim ist deutlich niedriger und hat auch kein Fußpedal. Irgendwann traute sie sich und sagte dies ihrem Klavierlehrer. "Ich habe mich etwas geniert, meinem Lehrer davon zu erzählen, weil unser Klavier so alt aussah", sagt Karin Förster heute.

Klavierlehrer erkennt die Rarität sofort

Konrad Lutz hatte sich anfangs tatsächlich etwas gewundert. Er wollte die Geschichte seiner Schülerin erst nicht so recht glauben. Doch dann besuchte er diese zuhause, um sich das angeblich so seltsame Klavier anzuschauen – "und mir fielen fast die Augen aus", erinnert sich der 64-Jährige, der mittlerweile im Ruhestand ist. Er erkannte sofort, dass er ein altes Tafelklavier vor sich hatte, eine Rarität. Ein paar Jahre später, im Jahr 1989, kaufte er das Instrument Karin Försters Eltern, Ursel und William White, ab. Ihre Tochter erhielt als Zwölfjährige ein Ersatzklavier, ein "ganz normales" – und war glücklich.

Mit dem Verkauf an den Klavierlehrer beginnt quasi die Renaissance des alten Instruments. Denn als Fachmann machte dieser sich mit Passion daran, möglichst viel Wissen über das Klavier zu sammeln und es herzurichten. Über das Firmenschild "Schönleber Keppler & Cie Stuttgart" wusste er den Hersteller und erfuhr: Solche Tafelklaviere wurden dort nicht lange hergestellt. So ließ sich die Bauzeit auf das Jahr 1850 eingrenzen, plus minus drei Jahre, berichtet Konrad Lutz. Ab 1860 wurden Tafelklaviere, die niedriger waren als die heute noch verbreiteten Kastenklaviere, und auch anders aussehen als Konzertflügel, in Europa nicht mehr produziert.

Eine musikalische Familie

Doch wie kam das Tafelklavier einst zu Familie White? Dieser Frage gehen sie bei einem Besuch bei Konrad Lutz, der inzwischen in einer alten Mühle zwischen Zeilitzheim und Obervolkach wohnt, gemeinsam nach. Ursel White (77) weiß: Schon ihre Mutter, Rosa Hock (geb. Weickert, 1910-1988), und ihre älteste Schwester, Sieglinde Hock (82), die Opernsängerin war, spielten auf dem Klavier. Und ihre Großmutter, Katharina Weickert (geb. Rogati, 1875-1947), war sehr musikalisch und ein Bruder von Katharina war Oberspielleiter an der Operette in Fürth. Verständnis für Musik war in der Familie also schon lange vorhanden. Insoweit wundert es nicht, dass im Haus als Erbstück ein Klavier stand. Doch eine Jahreszahl, wann das Klavier in die Familie kam, lässt sich nicht mehr nachvollziehen.

Konrad Lutz hatte Blut geleckt. Er befreite den schwarzen Korpus das Tafelklaviers von Staub und Farbe. Auf Ratschlag eines alten Schreiners hin war er wochenlang mit Schleifpapier zugange. Zum Vorschein kam ein feines Wurzelfurnier. Wichtige Tipps erhielt er von einem befreundeten Klavierbaumeister aus dem Spessart. Er zerlegte das Klavier letztendlich komplett. "Da ist für die Mechanik keine einzige Schraube verbaut worden", sagt er und beschreibt, wie er getüftelt und letztlich per Zufall herausgefunden hat, wie er die Blende oberhalb der Tasten abziehen muss, um dahinter zu gelangen.

Gepresste Schafwolle und Holzwurm-Ex

Die Arbeiten zogen sich über Jahre hin. Am Ende waren es hunderte, ja tausende Stunden, die Konrad Lutz damit verbrachte, das Innenleben des Instruments zu restaurieren. Die Hämmerchen beispielsweise, die auf die Saiten schlagen und diese erklingen lassen, versah er einzeln mit gepresster Schafwolle, Filz und Leder. Im Einsatz war auch Knochenleim. Mit Holzwurm-Ex vertrieb er die Schädlinge ("das mussten Hunderttausende gewesen sein") aus dem Korpus des Klaviers. Von einem Scheunen-Fund stammt das Ersatzpedal, das Konrad Lutz an das Instrument anbaute. Die gedrechselten Beine des Klaviers ließ er ebenfalls erneuern. 

 

Alles in allem ist das Tafelklavier ein wunderbares Museumsstück, sagt der Besitzer. Im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg etwa stehen mehrere vergleichbare Stücke. Mit einem Unterschied: Das rund 170 Jahre alte Klavier von Konrad Lutz ist – anders als die Exponate – voll einsatzfähig und bespielbar. Es klingt, dank der fachmännischen Restauration auch so, wie Klaviere Mitte des 19. Jahrhunderts, in dessen Bauzeit klangen: tiefer als moderne Klaviere, die auf den Ton A gestimmt sind. Für den Musikliebhaber ist klar: "Das Klavier muss unter Menschen, es muss gehört werden." Deshalb hat er sich dagegen entschieden, das Instrument einem Schloss oder Museum als Ausstellungsstück zu vermachen.

Hochschule war hellauf begeistert

Ein Ausweg ergab sich für ihn über private Beziehungen, die er seit langer Zeit zur Universität Mozarteum in Salzburg pflegt. Er hat dort selbst Klavier studiert. Während eines Besuchs in der österreichischen Stadt hat er vorgefühlt, ob die Hochschule Interesse an dem historischen Klavier hat – und damit offene Türen eingerannt. Nach einer Klangprobe des Klaviers waren die Verantwortlichen des Mozarteums laut Konrad Lutz hellauf begeistert.

"Das Klavier muss unter Menschen, es muss gehört werden."

Konrad Lutz, Besitzer des Tafelklaviers

Mittlerweile ist das Klavier im Mozarteum in Österreich angekommen. Es wird künftig in einem Konzertsaal in der nebenan gelegenen, neu eröffneten Villa Vicina stehen. Dort werden Studenten das Instrument regelmäßig spielen, auch bei Konzerten. Damit erfüllt sich ein Wunsch von Konrad Lutz, der es nicht erst seinen Erben überlassen wollte, was mit seinem Klavier passiert. "In Salzburg", sagt er zufrieden, "soll jeder Klavierstudent einmal hören, wie ein Klavier zu der Zeit klang, als beispielsweise Robert Schumann oder Felix Mendelssohn Bartholdy ihre Klavierstücke komponierten."

"Natürlich teilen wir den Wunsch von Herrn Lutz, das Instrument begabten Studierenden der Universität Mozarteum zur Verfügung zu stellen, damit sie sich selbst einen ‚authentischen‘ Zugang zur Musik nicht nur Mozarts, sondern auch Schuberts, Schumanns oder Chopins erarbeiten können", sagt Ulrich Leisinger, der wissenschaftliche Leiter der Stiftung Mozarteum gegenüber dieser Redaktion. Das "neue" Instrument sei eine wunderbare Ergänzung zu einem Konzertflügel von Conrad Graf aus dem Jahr 1839, der durch eine großzügige Zuwendung des Pianisten Robert Levin vor einigen Jahren restauriert werden konnte, berichtet die Stiftung.

Dankesschreiben des Präsidenten

"Ihr Tafelklavier findet einen würdigen Platz, an welchem zudem kleine Klavier- und Kammerkonzerte im authentischen Rahmen stattfinden können", versicherte Johannes Honsig-Erlenburg, Präsident der Stiftung, in einem Dankesschreiben an Lutz. Dessen Tafelklavier sei "ein mit Liebe und Sachverstand gepflegtes Instrument, das die Klangwelt bürgerlicher Familien in der Mitte des 19. Jahrhunderts dokumentiert", heißt es aus Salzburg.

Die Internationale Stiftung Mozarteum besitzt eine exquisite Sammlung an historischen Instrumenten, darunter als bedeutendste Mozarts Salzburger und Wiener Violine, seine Bratsche, seinen Hammerflügel und sein Clavichord, heißt es dort auf Anfrage dieser Redaktion. Die Stiftung, die sich als Vorreiter der sogenannten historischen Aufführungspraxis in Salzburg sieht, möchte aber auch die Entwicklung des Instrumentenbaus und des Klangideals dokumentieren, denn jede Zeit hat ihren eigenen Zugang zu Mozart.

Das Instrument ist unbezahlbar

Konrad Lutz hat das Klavier dem Mozarteum geschenkt. Geld dafür zu verlangen, wäre nach Worten des pensionierten Klavierlehrers schon allein daran gescheitert, dass ihm kein realistischer Preis eingefallen wäre. Er habe schließlich tausende Stunden in das Instrument gesteckt. Es ist schlichtweg unbezahlbar. 

Unbezahlbar ist für Karin Förster und ihre Eltern auch die Chance gewesen, ihr ehemaliges Klavier vielleicht ein letztes Mal zu Gesicht zu bekommen, bevor es nach Salzburg transportiert wurde. Beim Besuch bei Konrad Lutz setzte sich die frühere Klavierschülerin nochmals an die Tasten, auf denen sie daheim ihre ersten Klaviergriffe geübt hatte. Sie kann es noch, obwohl sie als 16-Jährige ihren letzten Klavierunterricht hatte. Dass das Klavier seinerzeit bei ihrem Lehrer gelandet ist, hat sie nie ernsthaft gereut, sagt sie. "Das war goldrichtig."


 

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